Schüler in Europa wollen länger zur Schule gehen

Normalerweise würde man meinen, Schüler seien froh, wenn sie endlich nicht mehr zur Schule gehen müssen. Die Ergebnisse einer in acht europäischen Ländern durchgeführten Studie legen allerdings genau das Gegenteil nahe. 12.000 Schüler haben im Rahmen des Projekts "Regulierung von Bildungsverläufen in Europa" (Goete-Governance of Educational Trajectories in Europe in Frankfurt) Fragebögen ausgefüllt. Während in Großbritannien, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Finnland und Slowenien 71 Prozent der Befragten angaben, länger zur Schule gehen zu wollen, sind es in Deutschland sogar 75 Prozent und damit drei von vier Schülern, die über die 9. bzw. 10. Klasse hinaus die Schule besuchen wollen. Selbst wenn Lehrer ihnen davon abraten, wie Studienleiter Prof. Dr. Andreas Walther, Erziehungswissenschaftler und Schulforscher weiß. Die Jugendlichen möchten sich nicht frühzeitig auf einen Beruf festlegen, sie möchten sich ihre Wahlmöglichkeiten lange bewahren. Nach 10 Jahren eine Berufsentscheidung zu treffen, sei auch zu früh, meint Walther und verweist auf das starre dreigliedrige deutsche Schulwesen, das mit seiner geringen Flexibilität dem Wunsch vieler Schüler nach langer Wahlfreiheit entgegensteht. Wer nach der 9ten oder 10ten Klasse weiter zur Schule gehen will, kann dies nicht ohne weiteres tun. Die Entscheidung für eine geeignete Schulform und die zuvor bereits erfahrenen Schulwechsel lassen die Motivation der Schüler schnell sinken, weiter zur Schule zu gehen, obwohl sie dies gerne täten. So findet sich mancher Schüler schneller, als ihm lieb ist, in der rauen Berufswelt wieder, auf der er in der Schule unzureichend vorbereitet wurde.

Im Gegensatz zum Pisa-Musterland, Finnland oder Slowenien ist es in Deutschland noch lange nicht üblich, an allen Schulen ausreichend Schulsozialarbeiter einzusetzen und alle Schüler gemeinsam neun Jahre zu unterrichten. Alle weiterführenden Schulen führen beispielsweise in Finnland zur Allgemeinen Hochschulreife und damit zur Qualifikation für das Studium. Weniger Schulwechsel führen demnach zu mehr Motivation der Schüler, weiter und vor allem länger zur Schule gehen zu können und nicht frühzeitig zur Wahl eines Berufs gezwungen zu werden. Da dies in Deutschland nicht der Fall ist, können unterstützende Hilfeleistungen wie konkrete Lerntipps oder Nachhilfeunterricht ein wichtiger Faktor sein, wenn man sich den Wunsch, länger zu lernen mithilfe von guten Noten für die Hochschulzugangsqualifikation und somit das Studium erfüllen möchte.