Normalerweise werden Hausaufgaben in der Schule aufgegeben und mit nach Hause genommen. In der Schule selber findet stattdessen (im besten Fall) die Wissensvermittlung statt. An diesem festgefahrenen Grundsatz haben 2004 erstmals zwei Lehrer aus den USA gerüttelt und den Unterricht quasi "umgedreht". Jonathan Bergmann und Aaron Sams sind auf die einfache aber geniale Idee gekommen die Wissensvermittlung nicht mehr in der Schule, sondern zu Hause stattfinden zu lassen. Schüler, denen Hausaufgaben verhasst sind und die oft keine intrinsische Motivation zu ihrer Ausführung haben, können sich auf ein Leben ohne Hausaufgaben freuen, wenn auch bei ihnen irgendwann das im Original "Flipped Classroom" genannte Prinzip von ihrer Schule bzw. ihren Lehrern angewandt wird.
Das Ganze funktioniert im Detail folgendermaßen: Der Lehrer dreht ein Video von seiner Unterrichtsstunde bei sich zu Hause, damit ist ein klassischer Lehrervortrag gemeint. Diesen stellt er dann über gängige Kanäle im Internet seinen Schülern zur Verfügung. Die Schüler rufen zu Hause bei sich am Computer oder Laptop das Lernvideo ab, mit dem Vorteil, es bei Verständnisschwierigkeiten immer wieder anhalten oder zurückspulen zu können. Zusätzlich können sie im Internet nach Hilfen suchen oder mit Schulkameraden sozial interagieren. In der Unterrichtsstunde selbst werden dann die "Hausaufgaben", also Übungen zum Lernstoff, gemacht. Positiv ist hieran, dass der Lehrer bei Problemen beratend seine Hilfe anbieten kann.
Außerdem wird Zeit gewonnen, damit Schüler ihre Fragen zum vorherigen Video stellen können. Zwar mögen viele Lehrer berechtigte Ängste davor haben, eine eigene Videoaufnahme von ihnen und ihrem Vortrag ins Internet zu stellen und sich somit der Kritik der Schüler auszusetzen, mittlerweile stellen aber auch die schützenden Mauern eines realen Klassenraums dank Internetportalen kein Hindernis für unzufriedene Schüler dar, ihre Lehrer zu bewerten. Zudem sind die Videos meistens kürzer als die eigentliche Schulstunde, da es keine zeitverzögernden Zwischenfragen gibt. Auch müssen aufwändige Tafelbilder nicht immer wieder neu angemalt werden, sind sie einmal in ein Video gebannt.
Die Schüler bekommen bei dieser innovativen Art des Unterrichtens zwar keine "klassischen" Hausaufgaben mehr auf, dafür stehen sie jedoch in der Verantwortung, das Lehrervideo auch anzuschauen und aufzuarbeiten, da dieses in der kommenden Schulstunde genau wie die unliebsamen Hausaufgaben vorausgesetzt wird. Der in deutschen Schulen noch weitgehend unbekannte "Flipped Classroom" könnte die Eigenmotivation der Schüler am Lernen in ungeahnte Höhen treiben und sie wieder gerne zur Schule gehen lassen. An den deutschen Universitäten praktizieren die drei Hochschullehrer Professor Dr. Jürgen Handke, Prof. Dr. Jörn Loviscach und Prof. Dr. Christian Spannagel diesen "umgedrehten Unterricht" und sehen in der öffentlichen Angriffsfläche, die die Lernvideos bieten, auch Chancen zur eigenen Verbesserung und somit letztlich auch einen Beitrag zur Unterrichtsevaluation.
Tipp zum Weiterlesen: Weitere Informationen gibt es bei der Uni Marburg.